Werden wie die Kinder

Welche Bedeutung der biblische Satz, wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, hat, wurde mir durch Erzählstunden mit Grundschulkindern und dem Erleben meines dementen Vaters bewußt.

Märchen-Erzählstunden vor Grundschulkindern

Im Februar wurde ich von der Stadt Kiel im Rahmen der Stadtkulturtage engagiert als Märchenerzähler in drei Stadtteilbüchereien. Grundschulkindern sollten Märchen erzählt werden. So war ich in Dietrichsdorf, Holtenau und Suchdorf mit zweimal einer ersten Klasse und einmal einer dritten. Es war jedesmal eine sehr positive Erfahrung. Die Kinder waren aufgeschlossen, sie ließen sich innerlich und dann auch äußerlich mitnehmen in die Welt der Märchen, sehr bewegt und bewegend. Ich habe versucht, die Kinder durch Fragen in das Erzählgeschehen einzubeziehen. Am Ende einer Stunde hat ein Junge mich um ein Autogramm gebeten, das war noch nie. – Ein schöner Auftakt für die neue Saison. Wenn die wärmere Jahreszeit kommt wird es auch hier in Wulfshagenerhütten wieder Märchenveranstaltungen geben.

Demenz und werden wie die Kinder

Persönlich hat mich in letzter Zeit das Erleben meines dementen Vaters bewegt. Er war knapp 93 Jahre alt. Im November haben meine Frau und ich ihn, der sehr dement war, zwei Wochen betreut, meine Geschwister vor Ort ablösend. Meine Mutter, ebenfalls 93, kam soeben aus dem Krankenhaus. Sie war auf Hilfe angewiesen. Deutlich wurde die Notwendigkeit einer Veränderung.  So kam eine Pflegekraft, die in der Wohnung mitlebte. Nach zwei Monaten ist mein Vater gestorben, nach viel Aufregung konnte er schließlich sanft hinübergleiten.

Mich hat an dem Vorgang Folgendes bewegt. Das Erleben der Demenz erscheint mir als Mahnung, frühzeitig mir das Kindliche, Staunen Könnende des Lebens zu erhalten. Und wenn es mir abhanden gekommen ist, danach wieder zu suchen. Jeder Tag ist nämlich ein Wunder, voller Überraschungen (positive wie negative).

Der Dummling in vielen Märchen steht für diese Gabe, die lebens- und liebenswert ist. Ich befürchte, dass ansonsten mich im Alter diese Kindlichkeit bzw. Kindischkeit in unerlöster Form heimsucht als Demenz. Die Gleichung geht sicher nicht eins zu eins auf. Jedenfalls hatte dieses Erleben Impulscharakter für mich. Es hat mich bestärkt in der Fokussierung auf Märchen und andere Geschichten. Sie laden ein, staunend durchs Leben zu gehen und auf die Hilfe und Zuwendung des Lebens oder Gottes zu vertrauen. Die Liebe wird uns leiten … heißt es in einem alten Lied.

Jesus wird im Evangelium nach Matthäus zitiert: Wenn ihr Euch nicht umwendet und werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen. (Mt18,3) Damit meint er sicher nicht, dass wir kindisch werden sollen. Er fordert uns auf, diese Fähigkeit des Staunens zu erwerben und das Entscheidende im Leben von Gott bzw.vom Leben selbst zu erwarten.