Zur Bedeutung von GOLD
Immer wenn etwas Goldenes in den Volksmärchen auftaucht, wechselt das Geschehen in eine andere Bewusstseinsebene, es gelten plötzlich andere Gesetze und Verhaltensweisen (goldene Gans, goldenes Schlüsselchen, goldene Teller). Die Anderswelt oder das Jenseitige kommt ins Spiel und bringt neue Lebenselemente zum Vorschein, die erst ein erweitertes Gehen des Lebensweges möglich macht und den Sinn öffnet für unbekannte Problemlösungen.
Oft ist das Gold auch nur in der Tiefe der Erde zu finden, es muss ent-deckt werden, oder es fällt einem zu, wenn Transparenz und Offenheit vorhanden sind, jenseits von reiner Kausalität.
Das Gold tritt auch oft auf im Dreiklang mit Silber und Diamant bzw. Perlen (drei Kleider). Gold als zugehörig zum Tag, der Sonne, dem Männlichen und zur Körperlichkeit, das Silber als zugehörig zur Nacht, dem Mond, dem Weiblichen und der Seelenwelt und die Edelsteine als zugehörig zu den Sternen, der Ewigkeit und dem ganzen Kosmos.
Zur Frage der Aspekte
Die Geschichten, Personen und Handlungen in den Märchen haben oft aspektiven Charakter, das meint, dass verschiedene Varianten von Personen eigentlich für eine stehen. Drei Brüder oder drei Schwestern stehen für eine Person: ausgedrückt wird, dass der Lebensweg meist durch Scheitern hindurch geht und erst beim dritten Anlauf, gewissermaßen durch Läuterung, das Herz offen genug ist zu erkennen, dass alles zusammenhängt und aufeinander angewiesen ist.
Auch die Figur der alten und der jungen Frau sind oft, als älteste Schicht, Aspekte der alten Göttin-Vorstellung: die junge Frau, die ins Leben hineinlockt, den Partner sucht und von ihm gesucht wird. Die reife Frau, die segnet, Fruchtbarkeit schenkt und für den guten Zusammenhalt im Leben steht, die oft zur bösen Stiefmutter geworden ist. Und die alte, oft die „alte Weise“, die dann häufig zur Hexe mutiert ist, sie als Aspekt des Weiblichen, der in den Tod und in die Wiederkunft des Lebens führt. Helle und dunkle Seiten des Lebens. Ausführlich geht Kurt Derungs in dem Teil „Texte zur Kulturgeschichte“ auf die Fragen ein (Die ursprünglichen Märchen der Brüder Grimm).
Zum Sprechen der Tiere
Eindrücklich ist, dass in vielen Märchen Tiere sprechen können. Dies weist auf eine andere Bewusstseinsebene hin, die sich öffnet.
Gleichzeitig kennen wir das Phänomen, dass wir mit Tieren Kontakt aufnehmen können, jeder der ein Haustier bei und mit sich wohnen hat, kennt das: Tiere verstehen was wir sagen und wir verstehen oft, was das Tier ausdrücken will. Aber auch in der Natur gibt es Menschen und Tiere, die miteinander kommunizieren.
Viele Menschen berichten auch davon, wie beredt sie einen Baum empfinden oder ein Waldstück oder gar ganze Landschaften, die etwas ausdrücken. In alten Zeiten waren die Schamanen und Schamaninnen in der Lage, mit Tier- oder Pflanzen-Populationen Kontakt aufzunehmen, etwa um Krankheiten und Plagen abzuwenden. Oder Jäger träumten von dem zu erlegenden Wild und wo es zu finden sei.
Es handelt sich um solche oder ähnliche Erfahrungen, von denen die Märchen berichten. Das blitzt besonders auf, wenn alte Leute oder Tiere in Not im Märchen dem „Helden“ in die Quere kommen. Sie werden sich später als Helfer*innen erweisen. Eins greift ins andere. Alles ist miteinander verbunden und aufeinander angewiesen, die Erde ist ein Lebewesen in so vielfältiger Gestalt. Nur die kindliche dritte Person im Märchen hat einen Blick dafür.
Zum (Lebens-)Weg im Märchen
Besonders berührt hat mich immer beim Lesen und Hören von Volkmärchen, dass der Märchenheld oder die -heldin sich auf den Weg macht. Ich bin von Kindheit an gewandert und als Erwachsener auch gepilgert aus dem Erleben heraus, dass das Leben ein Weg ist, der gegangen sein will, für den ein jeder selbst Verantwortung übernehmen muss.
In den Märchen sind die Helden und Heldinnen oft die dritten Geschwister, eher simpel veranlagt und dadurch offen für die Chancen, die sich unterwegs bieten, zu helfen und Hilfe zu empfangen. Sie haben oft Gottvertrauen und die Bereitschaft, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, aber dennoch an der gestellten Aufgabe zu bleiben, in der Hoffnung auf das Ziel, die Vereinigung, die Hochzeit.
Es wird in den Märchen die Einladung vermittelt, mutig seinen Weg unter die Füße zu nehmen und darauf zu vertrauen, dass das Not-wendende sich einstellt, wenn ich offen bin und dass der „Himmel“, die jenseitige Welt, uns im Blick hat und gelingendes Leben bereit hält, wenn auch durch Scheitern, durch Hindernisse hindurch, in denen Schmerz und Freude sich abwechseln. Aber am Ende wartet die Vereinigung, die Hochzeit.
Auf diese Weise hat der Umgang mit Märchen auch therapeutische Wirkung: der Leser/Hörer*in er-fährt, dass sein Lebensweg, wenn er sich für den „Himmel“ öffnen kann, gesegnet ist. Das macht Mut!
In den meisten Märchen lassen sich sieben Urbilder erkennen, die den (Lebens)weg des Protagonisten ausmachen: die göttlich/königliche Geburt, die Trennung; die Helfer; Kampf und Sieg; Rückkehr; Ankunft; Hochzeit und Krönung (siehe Literaturangabe: Troubadour). Sie sind Sinnbilder des Lebens und können helfen, seinen eigenen Weg zu verstehen, von der Geburt bis zum Tod, der großen Wiedervereinigung mit dem göttlichen Urgrund. (An anderer Stelle mehr zu den sieben Urbildern der Märchen und des Lebens. Siehe auch: Die Heilkraft der sieben Urbilder.)
Weitere Teile folgen.
© 2017 Clemens Walter-Kremer
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