Das Ende des zweiten Weltkrieges, die „Stunde Null 1945“, ist 75 Jahre her. Dieses Jahr 1945 und seine Auswirkungen bewegt mich sehr: Immer noch (hoffentlich) breitet sich in Menschen Fassungslosigkeit aus. Wie konnte diese zwölfjährige Herrschaft Fuß fassen, fragt man sich und und muss erkennen:
Bindungs- und Beziehungsfähigkeit
In der frühen Kindheit passiert sehr Wichtiges im Menschen, das sein späteres Leben nachhaltig prägen wird. Bindungs- und Beziehungsfähigkeit werden gelernt durch anwesende, zugewandte Eltern und Bezugspersonen. Wenn diese so wichtigen Gaben nicht angelegt wurden, sind Menschen später oft mit vielen Schwierigkeiten behaftet. Sie haben große Mühe, sie selbst zu sein, sich liebevoll auf Beziehungen einzulassen und sich auseinanderzusetzen. Etwas von den Deformationen haben alle Menschen, aber manche eben besonders.
Hannah Arendt hat in einem ihrer Bücher von der „Banalität des Bösen“ geschrieben. Sie hatte als Beobachterin des Eichmann-Prozesses erkannt, dass es sich bei Eichmann nicht um ein Monster handelte, sondern um einen extrem normalen spießigen Mann, der mit vielen Minderwertigkeitsgefühlen belastet ist. Eichmann, ebenso wie die meisten anderen Nazigrößen, konnten groß und mächtig werden, weil nach den gewaltigen Umbrüchen in der Gesellschaft die Menschen innerlich sehr verunsichert waren und offen für laute Stimmen, die „wussten“ wo es lang geht. Sie wurden bald Anhänger der Bewegung und die neuen Machthaber konnten ihre „Spiele“ aus-agieren. Der Gehorsam war ihnen sicher und schreckliche, nie dagewesene Verbrechen an der Menschheit konnten umgesetzt werden. Mit Stempel und Unterschrift.
Haben wir etwas gelernt?
Wieder gibt es Menschen, die hassen und ihrem Hass lautstark und immer öfter gewaltsam ausdrücken, meistens an Fremden oder andersartigen Menschen. Wurde in 75 Jahren nach 1945 alles vergessen? Mich bewegt, dass dieses Erinnern und das entsprechende Umdenken und Handeln vielleicht nie bei allen angekommen ist und der Ungeist des Faschismus nur geschlummert hat. Ähnlich wie in der Erzählung von Jeremias Gotthelf „Die schwarze Spinne“. Hier treibt eine riesige schwarze Spinne nach einem Pakt mit dem Teufel ihr Unwesen. Sie wird gefangen von einem Mutigen. Viele Generationen später wird dieselbe Spinne aus Unvernunft freigelassen, die Bedrohung wiederholt sich.
Ohne innere Resonanz auf die Geschehnisse in unserer Umwelt und ohne die Erfahrung von Selbstwirksamkeit geraten Menschen ins Abseits und spüren sich nicht mehr. Wenn dann Wortführer auftreten und das miese Lebensgefühl nach Außen projizieren, auf Fremde z. B., entsteht eine Identität jenseits von einem selbst. Ganz normale Mitbürger werden u.U. zu Massenmördern, im Glauben, doch nur ihre Pflicht getan zu haben.
Frühkindliche Erziehung
Das Augenmerk geht auf die frühkindliche Erziehung und Lebensgestaltung. Hier wird geprägt, ob wir kalt und unberührbar werden (schwarze Pädagogik der Nazis) oder warm und beziehungsfähig. Wer ein echtes Selbstwertgefühl hat, lässt sich nicht so leicht zum Untertanen machen, sondern denkt selber nach.
Auf dem Weg der Selbstfindung können Märchen helfen. Es werden alte Verwundungen bildhaft aufgearbeitet und berührt, es können verstockte Prozesse in Gang kommen. In der Seele entsteht Hoffnung, dass ein Durchgehen möglich ist und mich weiterführt. Traumatische Verletzungen brauchen allerdings oftmals therapeutische Hilfe um heilen zu können.
Hoffnung
So nehme ich auch in Erinnerung an das Jahr 1945 Hoffnung aus den alten Geschichten, dass Umkehr möglich ist. Ebenso Erneuerung und Mut, für die erkannten Werte einzustehen: Toleranz, Anerkennung von Andersartigkeit, Versöhnungsbereitschaft. Ich erfahre, dass die Liebe allein Verhärtung und Verformung lösen kann.
In diesem Sinn wünsche ich den Lesern dieses Beitrages, die Erinnerung an das Kriegsende vor 75 Jahren über die Generationen hinweg wach zu halten. Und ich wünsche mir nicht zu vergessen, dass die Ursachen für solche unermesslichen Gräuel in der Kindheit zu finden sind, wenn Kinder gehindert werden sich frei zu entfalten. Wenn sie keine Unterstützung bekommen, Vertrauen ins Leben zu fassen. Lieben heißt, das Kind als eigenständige Person zu empfangen und unterstützend wahrzunehmen, wie sich alles entfalten will. Dies ist die beste Prophylaxe vor Terror, Faschismus und Fundamentalismus.
Davon erzählen Märchen und ebenso biblische Geschichten.
Und hier gibt es einen Podcast mit einer eigenen Geschichte von mir, die Motive des Artikels märchenhaft aufgreift:
„Das Märchen vom Wanderer zwischen den Welten und dem kleinen Mann der König wurde“ –
© 2019 Clemens Walter-Kremer
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